Eröffnung: 15. Juli 2011, Freitag, 19 Uhr, Museum Haus Esters
Laudatio von Rein Wolfs, Kunsthalle Fridericianum, Kassel
Mit dem 14. Mies van der Rohe-Stipendium fördern die Kunstmuseen Krefeld die junge Künstlerin Latifa Echakhch, die mit ihren poetischen, oftmals ‚leisen' Objekten und raumgreifenden Installationen aus alltäglichen Gegenständen und Fundstücken immer wieder auf gesellschaftliche, nationale und kulturelle Zustände und Klischees verweist.
Für das Museum Haus Esters entwickelt Latifa Echakhch (geb. 1974 in El Khansa, Marokko, lebt und arbeitet in Martigny, Schweiz) eine Ausstellungskonzeption, in der sie aktuelle, bereits existierende Objekte mit Werken, die speziell für Krefeld neu entstehen, zu einer Einheit zusammenfasst. So wird beispielsweise die Arbeit Tour de Babel, die Latifa Echakhch als work in progress 2010 begonnen hat, nun im Haus Esters fortgesetzt. Hierbei handelt es sich um das Geschicklichkeitsspiel Jenga, mit dem Türme aus Klötzen aufgebaut wie auch zum Einsturz gebracht werden können. Spielerische Leichtigkeit und ein biblisch ikonographischer Topos - der Turmbau zu Babel verantwortete die Verwirrung der Sprachen und die Zerstreuung der Völker (Genesis 11, 1-9) - prallen in dieser Arbeit aufeinander. Zudem bildet dieses einfache Spiel mit seinen Verweisen auf klare architektonische Körper, auf eine kontinuierliche Wandelbarkeit und den Zerfall, so die Künstlerin, eine Metapher für die modernistische Stadtlandschaft Tel Avivs.
Angelehnt an die Backsteinhäuser Mies van der Rohes arbeitet Latifa Echakhch in der Arbeit Tkaf mit Ziegelsteinen. Vom ganzen, intakten Stein, zum Bruchwerk, über eine pulverige Konsistenz bis zum Abrieb des Puders durch Hände entwickelt sich das Werk vom Boden hinauf zur Wand und markiert den Raum als einen magischen Ort. Die Handspuren setzen auf der Höhe ein, die dem Körpermaß der Künstlerin entspricht. Sie sind im übertragenen Sinne Zeichen einer beschwörenden Handlung.
Das mehrteilige Werk Chapeau d’encre besteht aus sechs Farbkappen, Herrenhüte, die scheinbar mit dunkler Tinte gefüllt sind. Die schwarze Tinte verweist unmittelbar auf eine andere künstlerische Ausdrucksform: die Sprache in Form von Literatur und Poesie. Mit Chapeau d’encre zeigen sich auch surrealistische Anklänge in der Kunst von Latifa Echakhch, denn hier treffen Dinge unmittelbar aufeinander, die eigentlich nicht vereinbar sind: Eine Flüssigkeit gehört nicht in einen Hut. Gleichzeitig ist der Hut eine Reminiszenz an Joseph Beuys, einem der bekanntesten Krefelder Hutträger.
Ähnlich irritierend wie Chapeau d’encre ist die Reihe der Fantômes, Objektcollagen, die aus einem oder zwei Gegenständen und einem verhüllendem Stück Stoff bestehen. Mit ihnen verweist Echakhch auf die Abwesenheit von Menschen, die vielleicht vor einem Moment noch im Raum waren oder für immer gegangen sind, so als ob das Museum Haus Esters auch heute noch ein privates Wohnhaus wäre.
Im Laufe der Ausstellung erscheint ein Katalog in deutscher und englischer Sprache.